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Landgericht Marburg: Ende eines Albtraums

By 17. Oktober 2019Allgemein

Das war ein langer Kampf. Aber schlußendlich hat er sich gelohnt. Ich hatte an dieser (zugegeben ruhiger gewordenen Stelle – die Zeit, die Zeit…) schon häufiger über das Verfahren gegen zwei junge Fans des FC Schalke 04 berichtet, das in Marburg stattfand. Kurz zur Erinnerung: Im Jahr 2017 kam es in einem kleinen hessischen Ort während eines Volksfests zu einer wechselseitigen Schlägerei zwischen insgesamt vier Personen. Ein Beteiligter wurde schwerer verletzt, jedoch gutachterlich belegt definitiv nicht durch meinen Mandanten. Dennoch meinten die Richter beim Landgericht im Februar 2018, ihn wegen versuchten Mordes verurteilen zu müssen. Beide Angeklagten blieben im Jugendgefängnis.

Dieses Urteil fochten wir mit der Revision an. Im Januar kam es vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zur Revisionsverhandlung. Die Staatsanwaltschaft wehrte sich vehement gegen die Revision, zog aber den Kürzeren. Der BGH hob das Urteil komplett auf und ließ kein gutes Haar an der Entscheidung. Denn für einen versuchten Mord muss der Täter bei seiner Tat zumindest in Kauf nehmen, ein Menschenleben zu vernichten. Davon kann bei einer wechselseitigen Schlägerei am Rande einer Kirmes, wie sie wohl an jedem Wochenende zahlreich vorkommt, nicht die Rede sein. Tragfähige Anhaltspunkte, dass so etwas vorliegen würde, so der BGH, haben die Marburger Richter jedenfalls nicht geschildert. Demnach ist eine Mordverurteilung somit falsch.

Wenn der BGH ein Urteil aufhebt, muss es vor anderen Richtern neu verhandelt werden. Dies war seit Mitte September in Marburg erneut der Fall. Und wieder erlebten wir eine Staatsanwaltschaft, die aus dem BGH-Urteil rein gar nichts gelernt hat. Ohne auch nur einen Hauch der Kritik reflektiert zu haben, die Karlsruhe massiv an dem Ausgangsurteil geäußert hatte, wollte man unbedingt den ungerechten Schuldspruch aus dem Vorjahr erhalten. Dabei gab es in den Wochen der neuen Verhandlung keine wirklich neuen Erkenntnisse. Zeuginnen und Zeugen konnten sich nachvollziehbar allesamt noch weniger an den Vorfall und seine Details erinnern. Einige Zeugen wichen sogar von ihrer mehrfach getätigten Aussage in der Vorinstanz ab und meinten nun, dass es sich ja so ereignet haben müsse, wie es in der Zeitung stand. Mangels neuer Erkenntnisse und im Lichte der Entscheidung des BGH konnte also nicht ernsthaft von einer (erneuten) Mordverurteilung ausgegangen werden.

Die Staatsanwaltschaft, die sich selbst (keine Ironie!) als „objektivste Behörde der Welt“ (ein Riesenlacher auf jeder Verteidigerveranstaltung) bezeichnet, forderte in ihrem Plädoyer nicht nur eine erneute Verurteilung wegen versuchten Mordes. Man hielt sogar eine noch höhere Strafe als im ersten Urteil für angemessen. Da dies aus Rechtsgründen bei meinem Mandanten nicht möglich war, sollte es bei ihm die gleiche Strafhöhe sein, bei dem anderen Angeklagten wurden sportliche 2 Jahre zusätzlich gefordert. Wie man auf so etwas kommen kann, blieb allen übrigen Beteiligten des Verfahrens schlicht ein Rätsel. Man kann es eigentlich nur damit erklären, dass es sich um einen Prozess mit dem Label „Fußballauseinandersetzung“ handelte. Denn es ist kein Einzelfall, dass in diesen Fällen, die rechtlich sehr eindeutig als Körperverletzungen zu bewerten wären, mit der Mordkeule um sich geworfen wird. Ob bei der Staatsanwaltschaft in Marburg, in Essen oder anderswo. Man ist schließlich auch in der Justiz gegen Populismus nicht gefeit.

Am Dienstag entschieden dann die neuen Richterinnen und Richter gegen die Annahme eines Mordversuchs und somit gegen die Staatsanwaltschaft. Es verblieb „lediglich“ bei einem Körperverletzungsdelikt. Beide Angeklagten wurden direkt nach dem Urteilsspruch freigelassen und konnten nach über zwei Jahren Verfahrensdauer endlich wieder in Freiheit ihre Angehörigen und Freunde umarmen. Der Albtraum des absurden Mordvorwurfs hat -viel zu spät, aber dennoch endlich- sein Ende. Der lange Kampf hat sich gelohnt, die juristische Waffe der Revision hat gestochen. Und frei kommende Mandanten sind neben dem Erkämpfen von Gerechtigkeit immer das schönste.