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Auto weg – und nix gemerkt

By 18. November 2014Allgemein

Bin ich ausnahmsweise mal zu früh vor meinem eigenen Termin bei Gericht oder das Gericht hat Verspätung, schaue ich gerne bei anderen Prozessen zu. Man kann dort oft noch was lernen und sich Tricks anderer KollegInnen anschauen und übernehmen. Oder aber anderen Desastern beiwohnen. Letzteres passierte letztens.

Der Angeklagte hatte keinen Anwalt. Er wollte sich selbst verteidigen. Er wurde angeklagt, weil er viermal ohne Führerschein beim Autofahren erwischt wurde. Bei einem Mal kam es dazu noch zu einem kleineren Unfall. Im Vorstrafenregister standen schon diverse Verstöße im Straßenverkehr. Der Angeklagte saß wie ein begossener Pudel auf seiner Bank – die Richterin redete ihm ins Gewissen und drohte sehr deutlich mit einer Haftstrafe. Für mich als Zuschauer war ganz deutlich, dass er natürlich am Ende des Tages eine Bewährungsstrafe bekommen wird und sie ihm lediglich etwas Angst machen wollte. Das wirkte auch, denn er kauerte immer mehr in sich zusammen. Als es um das Auto ging, erklärte er, dass er es noch nicht habe verkaufen können. Das Fahrzeug sei finanziert, er müsse noch eine Weile rund 400€ monatlich abzahlen und es schließlich mit einer Schlußrate von 12.000€ ablösen. Auf dem Auto liegen also noch rund 15.000€ Schulden, der Fahrzeugbrief dürfte bei der Bank liegen. Nimmt man an, der tatsächliche Wert des Fahrzeugs liegt unter dieser Summe, wird es mit einem Verkauf natürlich schwierig, wenn man die Differenz nicht ohne weiteres aufbringen kann. Das Fahrzeug wurde nach seinen Angaben als Familienfahrzeug angeschafft, allerdings ist die Ehe inzwischen geschieden.

Staatsanwaltschaft und Gericht kamen dann auf die Idee, das Auto „einzuziehen“. Einziehung bedeutet Wegnahme, neuer Eigentümer des Fahrzeugs wäre der Staat. Das Auto sei schließlich Tatwerkzeug und solche unterliegen der Einziehung. Also forderte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer eine Bewährungsstrafe von 8 Monaten und die Einziehung des Fahrzeugs.

Der Angeklagte -immer noch unter dem Eindruck der Drohung, ins Gefängnis zu müssen- atmete förmlich auf und bedankte sich für diesen Antrag. Die Richterin verurteilte ihn wie beantragt und auf die Frage, ob er das Urteil annehmen würde, nickte er hastig.

Nur blöd, dass er spätestens jetzt (wenn nicht schon vorher) finanziell völlig ruiniert ist. Die Karre ist futsch. Allerdings nicht der Schuldenberg und von der ganzen nun folgenden Bürokratie, die diesen Angeklagten nun treffen wird, mal ganz zu schweigen. Aber das war ihm völlig egal; Hauptsache, er muss nicht in den Knast. Dass das ganz real überhaupt nicht zur Debatte stand, hat ihm eben niemand erklärt und so hat er nun ein massives Problem, das er mit anwaltlicher Beratung sicherlich nicht gehabt hätte. Denn der Einziehung hätte man sicherlich einiges entgegen setzen können, vor allem natürlich deren Unverhältnismäßigkeit. Denn wenn es nur darum geht, ihn vom Autofahren abzuhalten, hätte man andere Wege wählen können. Die Wegnahme des Autos hilft da auch nicht – gibt nämlich auch andere Autos. Ein Bewährungshelfer, der eine Auflage überwacht, nicht zu fahren, wäre da vielleicht sinnvoller gewesen.

Nun ist das Kind aber erstmal in den Brunnen gefallen. Mit etwas Glück rebelliert nun im Nachhinein noch die Bank, die immerhin Sicherungsrechte an dem Fahrzeug hat und deshalb nach § 431 StPO hätte angehört werden müssen, was das Gericht nicht bedacht hat. Auch eine Schadensersatzpflicht des Staates an die Bank nach § 74f StGB steht im Raum, wenn ein Rechtsverlust droht. Hier ist jedenfalls ganz schön viel Staub aufgewirbelt worden. Und der Staubsauger saß hinten im Saal und durfte nicht eingreifen…

Klar sind Anwälte teuer. Aber ohne den Anwalt beim Prozess wird es manchmal noch teurer. Und wenn das ein Angeklagter nicht erkennt, muss man ihm einen Pflichtverteidiger beiordnen, aber auch das ist nicht passiert und jetzt im Nachhinein nicht mehr zu retten.