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Zeugenvernehmung mal ohne Verteidiger

By 22. August 2012Allgemein

Ein Mandant kommt mehr oder weniger aufgeregt mit einem amtsrichterlichen Beschluss in der Hand ins Büro. Daraus kann er erfahren, dass es gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen eines vermeintlichen Gewaltdelikts gibt. Und dass eine Zeugin schon im Ermittlungsverfahren richterlich vernommen werden soll. Das macht die Justiz gerne in den Fällen, wo sie vermutet, dass die Zeugin/der Zeuge in einem späteren Verfahrensstadium etwas anderes sagen wird (traditionelle Sicht der Justiz: Weil die Zeugin oder der Zeuge möglicherweise eingeschüchtert wird und später lügt oder die Aussage verweigert; traditionelle Sicht der Verteidigung: weil er oder sie sich endlich zur Wahrheit durchringt). Eine richterliche Aussage ist wie Beton. Zumindest in den Augen der Gerichte. Wird man nur von der Polizei vernommen, kann etwa, wenn ein Aussageverweigerungsrecht besteht, immer noch die Aussage verweigert werden und das, was vor der Polizei gesagt wurde, darf nicht mehr verwertet werden. Das ist bei einer richterlichen Vernehmung nicht mehr möglich. Im Grundsatz. Und es gibt noch weitere Gründe.

Daher ist es immer unangenehm, wenn einmal eine solche Aussage in der Welt ist, wenn sie denn den Beschuldigten belastet. Weil das so wichtig ist, sollte man bei der Vernehmung natürlich dabei sein, einerseits um Fragen stellen zu können, andererseits die anderen Fragesteller bei ihrem etwaigen Einwirken auf die Zeugin/den Zeugen zu kontrollieren. Nun fand sich in dem Brief des Mandanten auch der Beschluss (§ 168c StpO), dass der Mandant und ein Verteidiger nicht bei der Vernehmung dabei sein dürfen. Beide würden ausgeschlossen.

Gibt’s doch gar nicht, denkt man so. Gibt’s auch nicht. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich deutlich, dass ein Verteidiger gar nicht ausgeschlossen werden darf. Der Beschuldigte unter gewissen Umständen schon. Nun war natürlich Eile geboten – nicht, dass schon vernommen wird und das Kind in den Brunnen fällt. Zackig die Beschwerde verfasst und darauf hingewirkt, dass das Gericht nicht auf die dumme Idee kommt, schon zu vernehmen. Diese Vernehmung wäre zwar wohl unverwertbar, aber dennoch wäre dann eventuell schon ein (falscher?) Anker bei einer Zeugenaussage geworfen. Die Vernehmung fand nicht statt, das Landgericht beschloss, dass der Verteidiger zwingend ein Anwesenheitsrecht hat. Der Beschuldigte darf aber immer noch nicht dabei sein. Das sei für die Zeugin nicht gut. Warum? Keine Ahnung, wir hatten noch immer keine Akteneinsicht. Daher kann ich nicht beurteilen, ob diese Vermutung nach Aktenlage stimmt oder überspannt ist.

Wie dem auch sei – sollte die Vernehmung belastend sein, könnte man sich später trotzdem über ihre Verwertbarkeit streiten. Denn wie schon ausgeführt ist solch eine Vernehmung wichtig und wichtig ist auch das Interesse des Beschuldigten, daran teilzunehmen. Er wäre in der Lage, dem Verteidiger möglicherweise Hinweise auf bestimmte (nur ihm bekannte) Widersprüche zu geben, die gute Fragen erst ermöglichen. Daher denke ich, dass ein Vollausschluss jedenfalls schwierig ist. Zumindest in Zeiten von Videovernehmungen und ähnlichem Schnickschnack.