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Tue Gutes, Staatsanwalt!

By 13. August 2012Allgemein

Da gibt es so eine Vorschrift in der Strafprozessordnung, von der habe ich im echten Leben noch nie etwas gesehen. Sie lautet, dass die Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil ein Rechtsmittel, also Berufung oder Revision, einlegen kann und zwar zugunsten des Angeklagten. Bedeutet – der Angeklagte ist nach Ansicht (auch) der Staatsanwaltschaft zu hart bestraft worden und das ficht man an. Ein Gericht kann nämlich auch härter urteilen, als es die Staatsanwaltschaft verlangt und sogar milder, als die Verteidiger es beantragen.

Nun gibt es in meinen Breiten einen Richter, der zumindest in bestimmten Deliktsbereichen, vor allem bei Körperverletzungen und ähnlichem, regelmäßig weit, weit über das Ziel hinaus schießt. Es kommt in diesen „Lieblingsdeliktsbereichen“ fast immer zu härteren Strafen als beantragt. Gerne auch mal deutlich härter. Wird ein Jahr mit Bewährung gefordert, kommen zwei Jahre ohne heraus. So in dieser Größenordnung. Einer meiner Jungs sollte nach dem Willen der Staatsanwaltschaft 1 Jahr und 6 Monate kassieren – es gab das Doppelte.

Ansonsten habe ich über diesen Richter nichts zu meckern. Er ist freundlich, sagt, was er denkt und spielt nicht mit faulen Tricks. Allein, die Bestrafungen sind eine helle Katastrophe. Zu etwa 90% werden seine Urteile dann auch aufgehoben. Er weiß das, schimpft in der Urteilsbegründung über die ihm übergeordneten und seiner Ansicht nach zu butterweichen Gerichte und verhängt dennoch seine Übermaßurteile. Einem befreundeten Journalisten gegenüber äußerte er sich wohl mal so, dass er weiß, dass seine Urteile nicht halten, aber er wolle erschrecken. Nun ja.

Auch die Staatsanwaltschaft hat bemerkt, dass da was nicht in Ordnung ist. Am Rande einer Verhandlungspause plauderte ich über dieses Phänomen mit einem Staatsanwalt und fragte ihn, ob in solchen Fällen denn nicht von der Staatsanwaltschaft mal Berufung eingelegt werde. Denn die Urteile seien doch auf der Hand liegend krass ungerecht. Er meinte, dass dies eher unüblich sei. Wenn ein Angeklagter einen Veteidiger oder eine Verteidigerin habe, dann würde pauschal nichts unternommen werden. Und ansonsten auch nur in besonders schweren Fällen, ohne zu benennen, was denn nur besonders schlimm sei (dabei habe ich schon Urteile gegen unverteidigte Menschen wahrgenommen, die deutlich über ein Jahr hinausgingen und denen damit sowieso ein Verteidiger zugestanden hätte).

Fazit: Die Staatsanwaltschaft macht also quasi keinen Gebrauch von der Möglichkeit, auch gegen zu harte Urteile vorzugehen. Nennt sich aber trotzdem die „objektivste Behörde der Welt“ (der Spruch ist stets ein Schenkelklopfer auf Verteidigerseminaren). Pech für den Angeklagten, der ohne Anwalt/Anwältin ins Rennen geht oder vom Gericht einen Pflichtverteidiger auf‘s Auge gedrückt bekommen hat, der schon aus Gründen, demnächst wieder vom Gericht bedacht zu werden, von einer Berufung abrät.