Skip to main content

Frei erfundenes Protokoll

By 17. November 2011Allgemein

Da traue ich doch meinen Augen nicht: In einer kleinen Bußgeldsache, in der es um einen Abstandsverstoß ging, hat der Mandant auf meine Anweisung hin geschwiegen. Er hat den ganzen (kurzen) Prozeß nichts gesagt – ich habe statt seiner geredet und auf einige Problematiken hingewiesen. Er ist dann verurteilt worden und das, wie ich finde, überaus hart.

Nun bekomme ich das Urteil zugestellt und stelle mit Entsetzen fest, dass ich wohl bei einem anderen Prozeß war: Zeilenlang wird ausgeführt, was der Mandant alles gesagt haben soll. Wenn man das Urteil für bare Münze nimmt, hat er sich scheinbar den Mund fusselig geredet.

Relativ empört fordere ich die Akte an, um mal einen Blick ins Protokoll zu werfen, damit der Fehler kassiert werden kann, aber auch da heisst es, der Mandant habe zur Sache ausgesagt.

Das ist jetzt wirklich ein Dilemma: Denn wenn im Urteil die Wahrheit stehen würde, könnte das Urteil keinen Bestand haben. Ohne Angaben des Mandanten (dazu, ob er überhaupt der Fahrer war) kann das Urteil nicht so begründet werden, dass es vor dem Oberlandesgericht hält. Nun steht aber das Gegenteil im Urteil drin – frei erfundene Angaben bzw. die, die ich gemacht habe, aber eben nicht der bewußt schweigende Mandant. Die Protokollführerin hat das ganze mit ihrer Unterschrift auch abgesegnet, auch wenn es neben der Unterschrift heißt „Protokoll fertiggestellt am x.y.zzzz (5 Wochen nach dem Termin)“.

Soll heißen: Das Gericht lügt ganz frech und erfindet einfach Angaben des Mandanten. Ich stehe jetzt dumm da und werde die Rechtsbeschwerde nur deshalb verlieren. Natürlich habe ich Protokollberichtigung beantragt, aber das man die eigene Lüge als Irrtum darstellen lässt, daran vermag ich nicht zu glauben. Im Gegenteil: Hinterher dreht man den Spieß um und bezeichnet mich der Lüge, weil einer Richterin das Lügen (oder auch der unbewußte Irrtum) fremd ist. Dann geht es mir wie dem Kollegen Stephan Lucas, dem das Revisionsgericht auch einen angeblichen falschen Revisionsvortrag vorwarf, nur weil die Ursprungsrichter etwas anderes behaupteten.

Alles in allem eine höchst unglückliche Konstellation, in der man nur verlieren kann.