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Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis

By 22. März 2011Allgemein

…so lautet der Titel einer Sat1-Schmonzette, für die derzeit kräftig die Werbetrommel gerührt wird. Es handelt sich dabei um die Verfilmung des Schicksals eines im Jahr 2007 17-jährigen Schülers aus Deutschland, dem während eines Türkei-Urlaubs der Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs an einer 13-jährigen gemacht und der aufgrund dessen in Untersuchungshaft genommen wurde. Nach eben diesen 247 Tagen erfolgte die Freilassung. Die Geschehnisse sorgten seinerzeit in der deutschen Öffentlichkeit für ziemliche Empörung und Aufsehen.

Genau diese Empörung ist es, die mir schon damals sehr scheinheilig vorkam. Insbesondere die Bild-Zeitung war damals wie immer Wortführerin des bürgerlichen Aufstands gegen die türkische Justiz. Es wurde vor allem infrage gestellt, wie es denn sein kann, dass ein minderjähriger Schüler so lange in unwürdiger Haft gehalten werden könne, fernab von seinen Eltern und das, wo er die Tat doch bestreitet.

Gehts noch?

Nur mal so zum Verständnis: Unterstellen wir, daß ein 17-jähriger türkischer Junge, der sagen wir mal zu Besuch bei seinen hier lebenden Verwandten ist, ein 13-jähriges Mädchen kennenlernt. Mit dieser wird er intim und im Anschluß behaupten deren Eltern bei der Polizei, der Junge habe sich an ihr vergangen. Er würde das von sich weisen. Wie bitte würde dann die Bild-Zeitung reagieren? Wie der deutsche Volkszorn? Was würde wohl die Polizei, die Staatsanwaltschaft und der Jugendrichter oder die Jugendrichterin sagen?

Um es klar zu sagen: Ich empfinde die 247 Tage U-Haft für einen Jugendlichen nahezu immer als einen Skandal. Aber man soll bitte nicht so tun, als würden sich bei uns die Dinge anders abspielen, wenn sich ein solcher Fall hier ereignen würde. Letztlich ist diese aufgesetzte Empörung von Bild, RTL und Sat1 nichts anderes als plumper Chauvinismus. Hier der deutsche Junge, dort die junge Engländerin und mit ihr die türkische Justiz. Gerade diese Boulervard“journalisten“ sind es doch, die aggressivste Vorverurteilungen in Verfahren wegen Sexualdelikten predigen und denen die Strafen dort nie hart genug sein können. Richter, die milde urteilen, werden gebrandmarkt; Richter, die Höchststrafen verhängen, heroisiert. Ein Umstand, der es der Richterschaft meines Erachtens nach immer schwerer macht, angemessen zu urteilen. In dem Marco-Fall hingegen wird die Entlassung aus der Haft als längst überfällig bejubelt, wobei das am Ende relativ milde Urteil kaum Beachtung fand. Immerhin hielten die türkischen Richter Marco nach dem Ende der Beweisaufnahme für des sexuellen Mißbrauchs an einem Kind für schuldig. Ein solcher Schuldspruch würde bei uns mit ziemlicher Sicherheit nicht zu einer geringeren Strafe führen. Die Haftbedingungen werden ganz sicher unterirdisch sein. Aber auch die Haftbedingungen in deutschen Jugendhaftanstalten, vor allem die des geschlossenen Strafvollzuges, sind sicherlich nicht paradiesisch. Über die JVA Siegburg gibt es ja inzwischen auch schon einen Film. Vermutlich sogar einen anspruchsvolleren.

Ich jedenfalls werde heute abend sicherlich nicht Sat1 einschalten.