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Gesocks verteidigt Gesocks

By 13. Januar 2017Allgemein

Da ging es mal hoch her beim Amtsgericht in einem eigentlich nicht sonderlich spektakulären Verfahren. Angeklagt war ein Vorfall im Rahmen einer Auseinandersetzung zwischen einem Schalkefan und der Polizei. Das Geschehene war relativ eindeutig. Außerdem war Aktenbestandteil ein Video von Tatvorgeschehen. In der rund einminütigen, sehr bemerkenswerten Sequenz sieht man unter anderem sehr anschaulich das extrem rüde Vorgehen der Polizei, die Stunden nach einem Spiel in Robocopanzügen eine Fankneipe umstellen, niemand herausgelassen wird und folglich niemand heraus kann und ein Polizist über den gesamten Zeitraum der Sequenz Pfefferspray in den geschlossenen Raum sprüht. Die Szene, die ich leider nicht veröffentlichen darf, erinnert an einen Kammerjäger, der auftragsgemäß Ungeziefer vernichten will. Einen polizeilichen Sinn kann man in dieser Aktion nicht erkennen, vor allem kein pfeffersprayimmanentes „auf Distanz halten“, denn die in dem Lokal Eingeschlossenen können sowieso nicht raus.  Aber man ahnt es schon, dieser Teil stand nicht zur Anklage, sondern ein Vorwurf gegen einen Fan.

Der Mandant war von Anfang an geständig und auch nicht vorbestraft. Dennoch hatte ich mir den deutlichen Hinweis darauf nicht verkneifen können, wie unverhältnismäßig, wie rechtswidrig, wie brutal hier die Polizei vorging und dass dagegen der Vorwurf gegen den Mandanten geradezu harmlos ist. Meine rhetorische Frage, wieviel Tagessätze der Kammerjäger denn bekommen habe, wurde bewusst überhört. Stattdessen folgte eine Tirade gegen Fußballfans im Allgemeinen. Die Attacken der Polizei, obwohl für jeden Betrachter des Videos deutlich erkennbar, waren egal, stattdessen zeigte man sich deutlich genervt vom Fußball und seinen Anhängern. Dabei wurden natürlich schön generalisierend wirklich alle in einen Topf geworfen. Die Ansprache gipfelte dann in der Äußerung „Für mich sind alle Fußballfans Gesocks„. Nun, mein Befangenheitsalarmsystem hatte schon vorher die Arbeit aufgenommen, denn der Tonfall veranlasste dazu. Aber bei der Bezeichnung „Gesocks“ musste ich durchaus schlucken. Okay, wir sind im Ruhrgebiet und der direkten Sprache mächtig, aber „Gesocks“? Durch eine Richterin? Deshalb fragte ich nochmals nach, ob ich mich verhört hätte. „Nein, das ist meine ganz klare Meinung. Fussballfans sind für mich Gesocks. Sie können mich jetzt auch gerne ablehnen.“ Naja, diese Aufforderung brauchte ich nicht und wir unterbrachen die Sitzung, um uns zu beraten. Natürlich wurde der Ablehnungantrag gestellt.

Man könnte natürlich denken, dass so eine Ansage herrlich erfrischend und ehrlich ist. Sie ist aber im Gegenteil nur bedenklich, gerade wenn sie von dieser Position kommt. Im Nachgespräch nach der Verhandlung hieß es, sie könne sich nicht reinversetzen in Fans und hätte aus den Medien(!) die Bilder im Kopf von Randale rund ums Stadion, zerschlagenen Scheiben in Bussen(??) und ständigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Ergebnis also eine postfaktische Betrachtung, gefüttert von punktuell skandalisierender Berichterstattung, die aber auch so rein gar nichts mit dem Alltag zu tun hat. Es ist der völlig unreflektierte Blick auf eine unbekannte Welt des Bösen. Wenn man wirklich glaubt, jeder Gang ins Stadion sei lebensbedrohlich aufgrund der exzessiven, stets dort von Fans ausgehenden Gewalt, der ordnet Dinge eben grundfalsch sein. Und derjenige bzw diejenige sollte nicht über Fans richten, wenn diesen mal etwas vorgeworfen wird.

Also ging es nach geraumer Zeit und einem erfolglosen Vermittlungsversuch der Staatsanwältin weiter mit dem Verlesen des Befangenheitsantrags. Kurz vor Schluß meines Vortrags erfolgte ein weiterer Gefühlsausbruch, man unterbrach mich und erneuerte die Vorwürfe, denn die Richterin könne nur bestätigen, was ich verlesen hätte, ja, das sei ihre Meinung und sie sei befangen. Um dann letztlich in einer Kehrtwendung ein Bestrafungsangebot für den Mandanten zu machen, das wir nicht ablehnen können.

Als Verteidiger geht man regelmäßig mit einer gewissen Vorstellung in einen Prozeß. Gerade bei einem geständigen Mandanten kalkuliert man ein für sich realistisches gutes Ergebnis und arbeitet darauf hin. Das schien hier natürlich längst nicht mehr möglich. Aber durch den Befangenheitsantrag, durch das Bewusstsein der Richterin, hier eine Grenze deutlich überschritten zu haben, nicht zuletzt durch die Beleidigung des sich als Fußballfan bekennenden Verteidigers und seiner Entourage kam es dann zu einem Versuch, dieses Verfahren auf kleiner Flamme zu halten. Und so bot man an, dieses Verfahren doch noch sofort durch ein Urteil zu beenden, welches selbst eine für uns vorher als gut und akzeptabel eingeschätzte Strafe nochmal um satte zwei Drittel unterschritt. Das war natürlich perfekt und die ideale Ausgangssituation, entweder den Befangenheitsantrag durchzuziehen und einen neuen Richter zu bekommen oder die unmoralisch niedrige Strafe zu akzeptieren, die wir so sicherlich nicht und auch nicht woanders bekommen hätten. Nach kurzer Beratung schlugen wir zu.

Das Fazit: Befangenheitsanträge sind definitiv kein nutzloses Werkzeug. Sie zerstören natürlich die Stimmung in einem Prozeß, aber wenn man als Verteidiger mit dem Instrument der Befangenheitsablehnung sparsam umgeht, ist diese Stimmung sowieso bereits durch den Richter/ die Richterin vergiftet worden und der Antrag ist lediglich Reaktion. Und abgesehen von den prozessualen Möglichkeiten, auch gegen vielleicht abgelehnte Befangenheitsanträge später mit einer Revision vorzugehen, signalisieren sie eben deutlich, dass man nicht bereit ist, auf einem bestimmten niedrigen Niveau zu verhandeln. Oder sie führen, wie hier, dann dazu, dass man doch noch ein perfektes Ergebnis für den Mandanten erreicht, das zuvor in weite Ferne gerückt war.

Übrigens war unser erster Impuls die Frage, ob das nicht sogar eine strafbare Beleidigung war. Ergebnis: Beleidigung ja, aber nicht strafbar. Denn es dürfte sich um eine straflose Kollektivbeleidigung handeln. Immerhin ist es heutzutage anerkannt, „all cops are bastards“ sagen zu dürfen, somit dürfte einer Richterin gleiches erlaubt sein, über Fußballfans zu denken und zu sagen.

Was aber bleibt ist die traditionell schlechte Erfahrung im Umgang von Behörden mit dem Thema „Fussball“. Hier geprägt von einer medialen boulevardesken Sensationsberichterstattung, die vom Empfänger noch nicht einmal reflektiert wird. Repression und Vorverurteilung von Fußballfans ist in den Köpfen vieler Entscheidungsträger tief eingebrannt. Rainer Wendt und Ralf Jäger haben insoweit ganze Arbeit geleistet.

Und leider bleibt die teilweise katastrophale Arbeit der Polizeien rund um Fussballeinsätze völlig außerhalb der richterlichen Denk- und Betrachtungsweise. Nur gut, dass es hier gutes Videomaterial gibt. Mal gucken, was man daraus machen kann…