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Langer Atem lohnt

By 27. August 2015Allgemein

Fast auf den Tag ein Jahr ist es her, da haben wir vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer eine etwas nervenaufreibende Verhandlung hinter uns gebracht. Angeklagt war ein Schalkefan, der im Stadion ein bengalisches Feuer entzündet haben soll. Etwa 20 Fackelträger gab es während dieses Spiels. Neben der Rauchentwicklung der Bengalos entzündete sich versehentlich ein zuvor benutztes Transparent auf einer Werbebande, die sich auch entzündete – beides wurde nach kurzer Zeit gelöscht. Damals wurde von uns ein Befangenheitsantrag gestellt, da die damalige Richterin erstens schon andere Verfahren anderer Fackelträger verhandelt (und drakonisch abgeurteilt) hat und sich zudem wenig offen für mögliche Alternativgeschehnisse zeigte. Das ist halt das blöde, wenn man nicht alles in einem Verfahren verhandelt, sondern aus einem Verfahren 19 verschiedene macht mit immer der selben Beweisaufnahme.

Zwar wurde der Befangenheitsantrag formal (mit den üblichen, schwachen Gründen) abgelehnt, dennoch war schon damals klar, dass die Richterin das Gericht verlassen und wir eine neue Richterin bekommen würden. Nach einigen weiteren Anläufen kam es dann heute endlich zu unserem Verfahren. In der Zwischenzeit wurden für die anderen Beteiligten teilweise drakonische Strafen ausgesprochen. Ein Beteiligter wurde sogar zu einer vollstreckbaren Haftstrafe verurteilt (wobei dazu noch andere Vorwürfe vorgelegen haben müssen), die meisten der anderen bekamen Bewährungsstrafen von 6-9 Monaten oder -wenn es das Alter zuließ- Jugendarrest, einer kam mit einer Geldstrafe davon und bei zweien kam es zu Einstellungen. Ganz witzig ist die Anekdote bei dem Geldstrafen-Kandidaten – dort berichten Augenzeugen davon, dass die Schöffen sich in einer Pause auf dem Flur sinngemäß so unterhalten haben, dass das alles nicht so schlimm sei – schließlich hätten sie, die Schöffen, damals in Mailand auch gezündelt. Ein Hoch auf solche Schöffen!

Zu Beginn der Verhandlung merkte man der neuen Richterin an, die ja inzwischen auch schon etliche dieser Verfahren abgeurteilt hat, dass man nach der gleichen Masche vorgehen wollte. Also einen Teil der Anklage durch Einstellung wegbekommen (die Sache mit dem angeblich absichtlichen Inbrandsetzen der Transparentreste) und den Rest zügig aburteilen. Wir legten dann aber den nicht unerwarteten Beweisantrag vor mit der Behauptung, dass nicht die Bengalos für vermeintliche Rauchverletzungen verantwortlich seien, sondern dies durch die abgebrannte Werbebande verursacht wurde. Es handelt sich immerhin um zwei ganz unterschiedliche Rauchqualitäten. Und letzteres ist nunmal nicht absichtlich passiert und schon gar nicht vom Mandanten verursacht worden.

Man merkte, dass sich das Gericht schwer tat mit diesem Antrag. Auch der Staatsanwalt -nicht der, der alle anderen Verfahren betreute- war der Auffassung, man müsste diesen Punkt aufklären. Es gab ein von der Verteidigerbank herrlich zu beobachtenden Wortwechsel zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft und man konnte merken, wie die Zweifel sich gegenseitig aufschaukelten. Und diese waren dann schließlich so groß, dass man uns entgegenkam mit einem Angebot der Verfahrenseinstellung. Eine Geldbuße zugunsten eines Kinderhospiz und die Sache wäre erledigt.

Dieses Angebot nahmen wir gerne an und wenigstens diese Sache hat ihr salomonisches Ende gefunden. Denn nach wie vor halte ich die anderen Strafen, vor allem die Bewährungs- und Hafturteile für unerträglich hart. Selbst, wenn Personen verletzt worden sind – man muss die Strafrechtskirche im Dorf lassen. Die meisten Betroffenen hatten keine Vorstrafen, sondern gehörten nach Ansicht von Staatsanwaltschaft und den sogenannten szenekundigen Beamten der falschen Gruppierung an. Entsprechend sollten sie gemaßregelt werden und in den meisten Fällen hat es ja auch geklappt. Heute lief zum Glück alles rund. Dem Kinderhospiz gönne ich es gerne.