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Landrecht und Gerechtigkeit

By 4. Juli 2014Allgemein

Ist es eigentlich gerecht, wenn ein und dieselbe Sache je nach Landstrich, in welchem man sich gerade in Deutschland befindet, anders ausgeurteilt wird? Oder sogar das Verfahren individuell gestaltet wird?

Jüngst durfte ich wieder einmal im Kölner Einzugsgebiet verteidigen. Prinzipiell verteidige ich gerne in dieser Gegend – die Leute sind meist fröhlich und witzig, als wenn das ganze Jahr über Karneval wäre. Wie schon im letzten Blogpost ging es auch diesmal wieder um Trunkenheit am Steuer und die Fahrerlaubnis. Wie ein solches 08/15-Verfahren abzulaufen hat, steht in der Strafprozessordnung (StPO), die gilt für jedes Bundesland gleichermaßen. Getreu den Regeln dieses Gesetzes ging es auch zunächst los: Der Mandant sagte kurz etwas zu seiner Person, der Staatsanwalt verlas im Stehen die Anklageschrift und der Mandant durfte sich nach einer Belehrung, dass er nichts zu sagen brauche zur Sache äußern. Brav sagte der Mandant das, was zu sagen war (und ließ das weg, was er nicht sagen sollte), ließ sich befragen, ein Zeuge wurde auch vernommen. Bis dahin alles im grünen Bereich. Bis die Richterin dann den Staatsanwalt fragte: „Was machen wir denn jetzt mit ihm?“ Diskutierten kurz über die Vorstrafen und Eintragungen in der Flensburger Punktekartei und beratschlagten über eine Entziehung der Fahrerlaubnis. Wohlgemerkt: Richterin und Staatsanwalt diskutierten. Wir wurden keines Blickes gewürdigt. Beide einigten sich auf eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen und keine Entziehung der Fahrerlaubnis, aber ein

Fahrverbot von drei Monaten (Parallele zum gestrigen Blogpost: auch dieses wäre dann schon vorüber). „Okay, machen wir dann mal so“, sagte die Richterin, kritzelte was nieder und verkündete im Sitzen das zuvor aufgeschriebene Urteil. „30 Tagessätze und 3 Monate Fahrverbot. Hier ist der Führerschein.“ Kein Plädoyer, kein letztes Wort des Angeklagten, kein Aufstehen, keine Begründung des Urteils. „Verzichten Sie auf Rechtsmittel?“ wurde ich verdutzt gefragt, aber sagte kurz „ja“, weil das Urteil absolut super und das beste, was je zu erreichen gewesen wäre, war. Dennoch war ich ein klein wenig über das Kölner Speckgürtellandrecht verwundert.

Soweit, so ungewöhnlich. Aber global betrachtet ist es schon ziemlich ätzend, wenn bei jedem Gericht, zumindest in jedem Bundesland weitestgehend unterschiedlich geurteilt wird. So bekommt der ausländische Drogenhändler in Bayern für ein Delikt satte 12 Jahre, für das er in Bremen oder Hessen nur die Hälfte oder noch weniger bekommen hätte. Oder der Steuerhinterzieher gigantischen Ausmaßes, der in Bayern mit weniger als vier Jahren davon kommt, während er etwa in Bremen und vielen anderen Regionen nicht unter sechs bekommen hätte. Solange die Entscheidung einem Menschen, der natürlich in jede Richtung voreingenommen sein kann, individuell übertragen wird und die Revisionsgerichte sagen, dass das Finden der Strafe „ureigene“ Aufgabe des Tatrichters ist und dieses nur im Extremfall kritisieren dürfen und damit ungleiche Strafen für das vergleichbare Delikt bei vergleichbarer Täterpersönlichkeit zulassen, solange bleibt es eben individuell ungerecht. Und solange kristalliert sich in jeder Region ein eigenes Strafmaßrecht heraus, das zum Großteil abhängig ist von den Kolleginnen und Kollegen am Kantinentisch. Die nahe liegende Lösung wäre ein Einschreiten der Revisionsgerichte. Aber diese Lösung ist leider nicht gewollt.

Und so frustrierend es auch mitunter für den Verteidiger ist, wenn er ein härteres als übliches Urteil kassiert, weil er sich im falschen Bezirk befindet, so erfrischend kann dann auch solch ein Procedere wie im Ausgangsfall sein. Natürlich wäre ein solches Verfahren ohne weiteres anzufechten gewesen. Aber Richterin und Staatsanwalt wussten -sehr selbstbewußt- natürlich, dass sie in der Sache sehr gnädig waren und machten genau aus diesem Grund kurzen Prozess.