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Der junge Richter und das Tonprotokoll

By 23. Juni 2014März 23rd, 2023Allgemein

Neulich kam ich mit einem jungen und durchaus engagierten Amtsrichter in einer kurzen Verhandlungspause ins Plaudern über die Protokollführung. Er bedauerte, dass man die Hauptverhandlung nicht einfach akustisch aufzeichnen könnte. Ich bedauerte aus vollster Überzeugung mit und betonte, dass es aus Anwaltssicht ein Jammer sei, wenn man keine Tonaufnahmen von Strafverhandlungen hätte. „Nicht nur aus Anwaltssicht“ entgegnete er. Was mich überraschte. Denn bislang ging ich immer davon aus, dass es die Richterschaft war und ist, die sich mit Händen und Füßen gegen eine Audioprotokollierung ihrer Verhandlungen wehrte. Der junge Richter hatte sich nicht nur mit mir darüber unterhalten: „Einige Ihrer Kollegen haben mir erzählt, wie es am Landgericht zugeht. Da wird ja noch nicht einmal ein schriftliches Wortprotokoll geführt.“ So ist es. Zur Verblüffung des jungen Amtsrichters und zur Verblüffung sämtlicher Bürger dieses Landes.

Im Strafverfahren vor den Landgerichten, also dort, wo die großen Prozesse stattfinden, gibt es zwar ein Protokoll. Aber da steht im Wesentlichen nur drin, wer ausgesagt hat und ob der- oder diejenige vereidigt wurde. Ansonsten noch, wer so alles da war und welche Anträge gestellt wurden. Etwas ganz entscheidendes für die Überprüfung, ob ein Urteil richtig ist oder falsch, das steht da nicht drin, nämlich, was die Zeugen und Angeklagten inhaltlich gesagt haben. Beim Amtsgericht wird das protokolliert (wenngleich von den sogenannten Urkundsbeamten, die in der Eile das mitschreiben, was sie für wichtig halten – ein wirkliches Eins-zu-eins-Protokoll ist auch das nicht). Beim Landgericht: Fehlanzeige. Kein Wortprotokoll. Und erst recht keine Tonbandaufzeichnung. Man könnte sich das Urteil dann ja angreifbarer machen als notwendig.

Und somit hört jeder in der Verhandlung das, was er hören will. So sehen dann mitunter auch die Urteile aus. Erst in der vergangenen Woche staunte ich nicht schlecht, als ich in einem Urteil lesen musste, was eine Sachverständige alles ausgesagt hätte. Über zwei Seiten wurde referiert, was die Dame alles zur Frage der Schuldfähigkeit meines Mandanten ausgeführt hätte. Und zwar mündlich. Das Problem: Dazu wurde sie überhaupt nicht angehört. Jedenfalls nicht in diesem Prozess. Es gab schon einmal ein Verfahren, da hatte sie dazu etwas gesagt. Gegen dieses Urteil führten wir die Revision, gewannen und es kam zu einer neuen Verhandlung. In dieser Verhandlung war die Sachverständige da, sprach aber zu einer völlig anderen Thematik. Was das Gericht nicht gehindert hat, wie oben aufgeführt über zwei Seiten Dinge zu behaupten, die nicht im Ansatz gesagt wurden und anscheinend aus dem alten Urteil schlicht abgeschrieben wurden.

Das ist alles schon sehr ärgerlich; ein Tonprotokoll könnte dazu führen, auch solche Dinge nachvollziehbar angreifen zu können. Würde ich jetzt in einer neuen Revision behaupten, all das hätte die Sachverständige nicht gesagt, würde ich mich in die Gefahr eines eigenen Strafverfahrens bringen. Nämlich dann, wenn die Richter das Gegenteil behaupten. Und einmal darf man raten, wem dann geglaubt wird.

Nun denn, der junge Amtsrichter ist zumindest noch so engagiert, dass er gerne eine Aufzeichnung der Verhandlung hätte. Hoffentlich verliert er diesen Gedanken nicht bei zukünftigen Karrieresprüngen an höhere Gerichte.