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Elefantengedächtnis des Ermittlungsrichters

By 6. März 2014Allgemein

Ermittlungsrichter. Man kennt das ja. Das sind die Personen beim Gericht, die in meist recht eiligen Sachen rasch über Grundrechtseingriffe in Rechte Anderer zu entscheiden haben, also über Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen usw.. Das sind die Personen, die den sogenannten „Richtervorbehalt“ gewährleisten sollen, also dem Sinne nach Garanten des Rechtsstaats sein sollen, damit die Exekutive nicht so ohne weiteres das macht, wonach ihr gerade ohne Rücksicht auf Verluste ist. Bevor die Exekutive grundlegend in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift, muss sie den Ermittlungsrichter fragen.

Nur hat man meist den Eindruck, dass dieser Ermittlungsrichter -aus welchen Gründen auch immer- immer das macht, was die Behörde von ihm verlangt. Nach meiner bescheidenen Erfahrung wird in aller Regelmäßigkeit nie ein Wunsch der Exekutive, meist also der Staatsanwaltschaft abgeschlagen. Man könnte auch den Eindruck gewinnen, dass die Ermittlungsrichter sich recht häufig nicht über den Ermittlungsstand in der betreffenden Sache umfassend informiert haben, sondern die oft vorformulierten Anträge der Staatsanwaltschaften dankend per copy & paste in den Beschluss einfügen.

Diesen Eindruck scheint von dem mich augenblicklich beschäftigenden Ermittlungsrichter auch das Oberlandesgericht zu haben. Begehrt hatte diesmal die lokale Ordnungsbehörde einen richterlichen Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss gegen die Mandantin. Man hätte gerne die Wohnung der Mandantin gestürmt betreten dürfen, um den Reisepass des Ehemanns einzukassieren. Damit wolle man die Abschiebung des Ehemannes vorbereiten, der sich gerade in Haft befände. Das Gericht hat die Shortcuts für Copy und Paste betätigt und den Stempel drunter gesetzt. Wo ist auch das Problem? Die Mandantin fällt dann an einem nachfolgenden Morgen in aller Herrgottsfrühe aus den Wolken, als die schwer bewaffnete Polizei bei ihr in der Wohnung steht und der Ordnungsmann ankündigt, die Wohnung auf den Kopf zu stellen und den Pass zu suchen. Daraufhin übergab die Mandantin den Pass und die Truppen verließen den Gefahrenbereich. Zurecht empört über das Verhalten der Ausländerbehörde rief sie mich an, denn hätte die Behörde einfach nur gefragt, hätte sie den Reisepass auch ohne bewaffneten Einsatz erhalten. Bei der Ausländerbehörde befand sich zuvor der abgelaufene Reisepass des Inhaftierten. Wir hatten seinerzeit gebeten, uns diesen herauszugeben, damit er bei dem zuständigen Konsulat verlängert werden und die Mandanten somit heiraten können. Dies geschah und nun wollte die Ausländerbehörde den Reisepass zurück. Hätte sie auch bekommen, hätte man gefragt. Fragen kostet nichts. Die Polizei in die Wohnung der Mandantin zu schicken allerdings -zunächst- auch nichts.

Die Beschwerde gegen den Beschluss wurde flugs abgeschickt, ebenso flugs schickte der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht, der sich für den überflüssigen Beschluss verantwortlich zeichnet, die Akten zur Entscheidung zum Oberlandesgericht. Beigefügt war ein Vermerk, dass er seinen Beschluss „aus den Gründen seiner Anordnung für rechtmäßig erachte“ (die übliche inhaltsleere Pauschalargumentation – bloß keine gedankliche Arbeit machen). Vom Oberlandesgericht kam einige Tage später ein recht ausführlicher und im Ergebnis überraschender Beschluss. Das OLG hob den Beschluss nicht etwa auf, sondern las dem Ermittlungsrichter die Leviten. Bevor er die Akten zum OLG schickt, hätte er sich zunächst selbst Gedanken zu machen und einen sog. Nichtabhilfebeschluss zu fassen. In diesem hätte er sich ausführlich mit meiner Argumentation auseinanderzusetzen, wonach die Ausländerbehörde wegen des Passes ohnehin schon in laufendem Kontakt mit uns befunden hat und den Pass nie einforderte. Zudem habe er die Mindestanforderungen an einen solchen Beschluss einzuhalten. Übersetzt heisst dies wohl: „Lies bitte endlich mal die Akte, Ermittlungsrichter!“

Die Antwort des Herrn Ermittlungsrichter ließ nicht lange auf sich warten und förderte erneut überraschendes zu Tage: Sein Beschluss sei richtig gewesen. Denn er könne sich noch gut an den Reisepassinhaber erinnern, den er ja vor rund sieben Jahren als Ermittlungsrichter in Untersuchungshaft geschickt hätte. Schon damals habe er den Eindruck gewonnen, dass der Mandant sich seiner Abschiebung mit allen Mitteln widersetzen wollte. Also damals, als die Person noch gar nicht hätte abgeschoben werden dürfen, gewann er diesen Eindruck. Aus der bestimmt zehnminütigen Verhandlung um die Untersuchungshaft. Alle Achtung. Ein wirkliches Elefantengedächtnis. Nur schade, dass erst auf Nachfrage von oben mitgeteilt worden ist, dass solche Gedanken tatsächlich noch im Kopf herumspukten.

Nun liegt der Ball also wieder beim Oberlandesgericht. Warten wir mal ab, ob die noch eigene Worte dazu finden. Mit dem Richtervorbehalt, den das Bundesverfassungsgericht so schätzt, sieht es jedenfalls mau aus. Nicht nur wegen dieses kleinen Falls.