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Abschiebestopp

By 19. November 2013Allgemein

Eines der emotionalsten Dinge, die mich seit ich Anwalt bin begleiten, sind Abschiebungen. Ich kann mich noch gut an meinen allerersten völlig selbständig bearbeiteten Fall erinnern, also sozusagen der erste Mandant, der zu mir hereingekommen war und ich nicht wusste, was mich für ein Problem erwartete. Das war damals noch als Referendar, mein damaliger Ausbilder war für ein paar Wochen verreist und ich habe den Laden selbst geschmissen (schmeissen müssen). Herein kam ein überaus sympathisches türkisches Geschwisterpärchen, beide so um die 18 und ohne Eltern in der BRD, die vor der Abschiebung standen. Und ich musste erstmal gucken, was man da so machen kann. Es gelang, die Abschiebung zumindest herauszuzögern, bis ich irgendwann, ein paar Jahre später davon hörte, dass man die beiden in ein Flugzeug gesetzt hatte und weg waren sie.

Schon im Praktikum während des Studiums war ich für einige Wochen im Ausländeramt und habe dort so viel an Erfahrung versucht mitzunehmen, wie es nur geht. Unbedingt wollte ich auch bei einer Abschiebung dabei sein, um zu sehen, ob es wirklich so schrecklich ist, wie man es sich vorstellt. Und natürlich ist es so. Man fuhr seinerzeit mit mehreren Beamten (alle vom Ausländeramt) zu der für die Deportation ausgesuchten Familie, klingelte dort und telte mit: „Guten Morgen. Heute ist Ihre Abschiebung.“ Man durfte die Koffer packen, natürlich nur bis zu 20 kg pro Person und dann wurde man im Konvoi zum Flughafen gefahren. Es gab keinen Widerstand, nur Tränen und Trauer im Überfluss. Die Beamten brachten die Familie zur Bundespolizei am Flughafen und mussten solange warten, bis das Flugzeug in der Luft war. Das nutzte man für ein leckeres Mittagessen im Flughafenrestaurant, bis der erlösende Anruf kam, dass das Flugzeug soeben abgehoben habe. Und zurück ging es ins Amt. Die Familie ist derweil einige Stunden später in einem völlig anderen Leben.

In der Regel werden Abschiebungen, jedenfalls beim ersten Versuch, etwa 2 Wochen vorher angekündigt. Manchmal wird aber auch so verfahren, wie in der letzten Woche bei meinem Mandanten. Er, seit 25 Jahren in Deutschland, bekam morgens Besuch von den Freunden der Ausländerbehörde. Die nahmen ihn mit, brachten ihn zum Richter und beantragten dort Abschiebungshaft. Denn das Flugzeug, das ihn in seine ihm nicht mehr bekannte „Heimat“ bringen sollte, starte Dienstag, also heute. Natürlich bekam das Amt die Haftanordnung. Jetzt läuft die juristische Zeit fast davon. Einen Tag vor der geplanten Abschiebung, also gestern, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ans Verwaltungsgericht gefaxt und am Abend, also Stunden vor Abflug, die erlösende Mitteilung bekommen, dass die Abschiebung gestoppt sei. Durchatmen. Ohne aus Gründen der Schweigepflicht zuviel über den Fall mitteilen zu dürfen – eine Abschiebung (die natürlich in der Zukunft tendenziell weiter droht) wäre eine menschliche Tragödie gewesen. Nicht nur 25 Jahre und damit mehr als die Hälfte seines bisherigen Lebens verbrachte er hier. Es gab immer mal wieder kleinere Straftaten, um sich über Wasser zu halten, nie jedoch gravierendes und keine Gewalttaten. Auch seine minderjährigen Kinder leben hier. Die Mutter der Kinder, seine Frau ist vor einigen Jahren verstorben. Die Kinder, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, wären nicht mit abgeschoben worden; man hätte ihnen faktisch den Vater geraubt, nachdem sie schon keine Mutter mehr hatten und ihm die Möglichkeit, Kontakt zu seinen Kindern zu halten. Nach einer Abschiebung hätte der Mandant auch für einige Jahre nicht wieder zu Besuchszwecken einreisen dürfen. Wie gesagt, weitere Einzelheiten darf und möchte ich nicht nennen. Es wäre einfach nur eine Handlung gewesen, die auf mehrere Leben nachhaltig negativen Einfluss gehabt hätte (vorsichtig formuliert). Um so glücklicher kann man sein, dass die Abschiebung zunächst gestoppt werden konnte.

Mit dem Ausländerrecht in Deutschland zu arbeiten ist in der Summe überaus frustrierend. Zu gering sind die gesetzlichen Möglichkeiten, etwas für die erreichen zu können, die ohnehin im Staat nicht gerne gesehen sind. Allgegenwärtig ist die Angst der Betroffenen vor Abschiebungen. Im Büro ist sie bei jedem(!) Gespräch zu spüren. Da sind die wenigen Momente, in denen es gelingt, diese zu verhindern, wahre Glücksmomente.