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Kastanien aus dem Feuer

By 11. März 2013Allgemein

Als Anwalt, gleich ob Verteidiger, Zivilrechtler oder sonst auf Feld-, Wald- und Wiesenrecht spezialisierter, ist man zu oft ein Kastanien-aus-dem-Feuer-Holer. Oder ein Kind-aus-dem-Brunnen-Zieher. Oder wie auch immer. Was meist daran liegt, dass die Mandanten gerne mal erst einen oder zwei Tage vor ihrer Verhandlung zum Anwalt kommen. „Zeugen gab es keine, ich habe aber bei der Polizei schon alles zugegeben. Kann man da jetzt noch was machen?“ hört man sinngemäß nicht selten.

Manchmal bauen aber auch die lieben Verteidiger selber Bockmist. Jüngst kam ein neuer Mandant zu mir, der zu acht Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war. Im Beistand eines anderen Kollegen. „Kann man da jetzt noch was machen?“ Man legt erstmal Berufung ein und liest sich durch die Akten und dann mal gucken. Aber was man da nicht alles so findet. Der Verteidiger hat ein den Mandanten auf den ersten Blick entlastendes Gutachten zu den Gerichtsakten geschickt. Was heisst aber auf den ersten Blick? Auf den ersten halben Blick war es vielleicht entlastend. In etwa 49 von den 50 Seiten waren eine einzige Verurteilung des Mandanten, die letztlich den Vorwurf nur erhärten konnten. Ich frage mich manchmal echt, wie man den Gerichten so viel Futter geben kann. Mit wahrer Freude stützte das Amtsgericht sein Urteil in der Beweiswürdigung in allererster Linie gerade auf dieses Gutachten. Aber damit nicht genug – im Protokoll der ersten Instanz heisst es am Ende, der Verteidiger habe eine „Freiheitsstrafe mit Bewährung“ beantragt. In einer Sache, in der es ersichtlich um Freispruch oder Verurteilung ging. Und in der er sich ganz klar bestreitend zur Sache eingelassen hatte. Wenn der Mandant verurteilt würde, dann bekommt er zudem wegen seiner zahlreichen einschlägigen Vorstrafen mit großer Sicherheit eben keine Bewährung mehr. Gut, jetzt steht in den Protokollen oftmals auch Quatsch. Vielleicht hat der Kollege einen Freispruch beantragt und lediglich für den Fall einer Verurteilung eine Bewährungschance. Kann sein, aber das Gesamtbild gibt zu denken.

Nun gilt es also, das Gutachten des Kollegen so gut es geht, wegzuignorieren und an anderer Stelle Indizien zu sammeln, die genug Zweifel an einer Verurteilung erscheinen lassen. Einfach ist das nicht.