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Verteidigerausschluss

By 13. November 2012Allgemein

Ein Mandant kommt mit einem Gerichtsbeschluss zur Sprechstunde. In dem steht, dass in dem Strafverfahren gegen ihn demnächst zwei Zeugen vernommen werden sollen. Und zwar ausnahmsweise vor der Hauptverhandlung von einem Richter persönlich. Aber nicht nur das ist relativ ungewöhnlich. Denn weiter heisst es, dass er von der Anwesenheit ausgeschlossen wird. Die Zeugen könnten Angst vor ihm haben und deshalb nicht „ehrlich“ (gemeint ist wohl eher „belastend“) aussagen. Und jetzt kommt es noch besser: Auch ein Verteidiger wird von der Anwesenheit bei der Vernehmung ausgeschlossen. Auch vor mir, so muss ich das wohl verstehen, könnten die Zeugen Angst haben. Schließlich bin ich auch bekannt dafür, noch während der gerichtlichen Beweisaufnahme meine Messer zu wetzen und den Revolver durchzuladen.

Weder der Mandant noch ich hatten eine Ahnung, was ihm denn wohl vorgeworfen wird und was so einen Zauber rechtfertigt. Um aber zu verhindern, dass das Kind in den Brunnen fällt, wurde sich erst einmal beschwert. Sollte zumindest teilweise kein Problem sein, denn in § 168c StPO heisst es sehr eindeutig, dass ein Verteidiger immer bei einer Zeugenvernehmung dabei sein darf. Das wäre ja auch noch schöner. Außerdem verwiesen wir auf im Zweifel mildere Maßnahmen, wie etwa eine Videovernehmung, bei dem der Beschuldigte wenigstens sachdienliche Fragen stellen darf. Schließlich wurde natürlich die Akte angefordert um zu wissen, worum es überhaupt geht.

Das Landgericht hat den Beschluss sodann teilweise aufgehoben: Natürlich darf ich dabei sein. Der Mandant hingegen immer noch nicht. Es stehe zu befürchten, dass die Zeugen sich nicht trauen werden, Tacheles zu reden. So sei auch schon in einem Zivilverfahren nach Gewaltschutzgesetz zunächst eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt worden und anschließend in der mündlichen (Zivil-)Verhandlung hätten die Zeugen alles nur noch butterweich geschildert. Mal abgesehen davon, dass dies ja auch daran liegen könnte, dass die die Zeugen vertretene Anwältin die eidesstattliche Versicherung etwas zu scharf formuliert haben könnte und man vor Gericht nicht lügen wollte, war mein Mandant an dieser Verhandlung gar nicht beteiligt. Sondern nur ein Mitbeschuldigter.

Damit aber nicht genug wollte ich dann noch zu allem Überfluss zum Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Denn ich finde, ein Mandant, der von einer Zeugenbefragung kategorisch ausgeschlossen wird und daher nicht selbst fragen kann, braucht notwendig einen Verteidiger. Diese Meinung teilt zumindest die liebe Staatsanwaltschaft nicht – es sei kein Grund dafür ersichtlich, warum die Befragung nur ein Verteidiger durchführen könnte. Ernsthaft, das war die Begründung. Jeder Blogleser kennt die Antwort: Weil der Mandant als Beschuldigter ausgeschlossen wurde und nicht mitspielen darf. Manchmal ist es echt nicht zu glauben.

Inzwischen hatte ich auch Akteneinsicht und harre der Dinge, die da kommen. Der Vorwurf ist übrigens recht banal. Beleidigung, allenfalls Bedrohung. Möglicherweise sogar wechselseitig. Alles in allem recht unkonkret. Der Mandant ist auch nicht vorbestraft. Aber dennoch ist die Situation einer richterlichen Vernehmung ohne dabei sein zu dürfen nicht ungefährlich für den Mandanten, denn wenn die Zeugen einmal vor einem Richter ausgesagt haben, dann ist diese schriftlich fixierte Aussage nahezu in Stein gemeißelt. Rudern die Zeugen hinterher zurück wird es lapidar heissen, man habe Angst gehabt. Warum man hier so ein Fass aufmacht, vermag ich zumindest nach Aktenlage nicht nachzuvollziehen. Also mal gucken. Sollten die Aussagen für den Mandanten belastend sein, werde ich der Verwertung wohl widersprechen müssen, da der Ausschluß von der Zeugenvernehmung meines Erachtens völlig überzogen ist. Ergo: Kleiner Fall, viele verfahrensrechtliche Probleme. Aber verfahrensrechtliche Probleme sind die rechte Munition für schöne Revisionen.

UPDATE: Heute fand dann die Zeugenvernehmung statt. Zunächst wurde ich zum Pflichtverteidiger beigeordnet. Und dann warteten wir auf die Zeugen. Und warteten und warteten. Mit anderen Worten war es viel Lärm um Nichts. Die Zeugen kamen nicht, was mich zum Antrag bewegt, das Verfahren mangels Interesse der Belastungszeugen einzustellen.