Skip to main content

Protokollberichtigung? Gibt’s nicht.

By 23. Juni 2011Allgemein

Im letzten Artikel schrieb ich über vorgefertigte Protokolle. Heute will ich auf Nachfrage mal exemplarisch darüber berichten, wie man mit einem solchen falschen Protokoll auf die Nase fallen kann.

Folgendes ist passiert:

Es wurde gegen zwei Angeklagte verhandelt. Mein Mandant bestritt eine Tatbeteiligung, der andere Angeklagte räumte die Tat ein. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stellte der Staatsanwalt seine Anträge und forderte Bestrafungen für beide. Nun war ich an der Reihe und plädierte. Danach fragte der Richter meinen Mandanten, ob dieser noch etwas zu sagen habe. Er äußerte sich zu dieser Frage.

Danach -und das ist wichtig- gab der Richter das Wort an die Verteidigerin des anderen Angeklagten, die ebenfalls plädieren sollte. Und nach deren Plädoyer wurde der andere Angeklagte nach seinem letzten Wort gefragt.

Innerlich fühlte ich mich schon auf der Siegerstraße. Denn der Verfahrensfehler lag auf der Hand – mein Mandant hatte nicht das „letzte Wort„. Er durfte sich zwar noch äußern und hatte somit ein „Wort“. Aber eben nicht das letzte. Wenn mehrere Angeklagte da sind, kann natürlich streng genommen immer nur einer das allerletzte Wort haben, aber in diesen Fällen sagt die Rechtsprechung, muss es zumindest der Block der Angeklagten sein, die nacheinander sprechen dürfen. Eine Unterbrechung durch ein anderes Plädoyer, wie hier, ist rechtswidrig.

Man mag das ja für plumpen Formalismus halten, aber es ist nunmal so, dass der Richter vor seiner Entscheidung den Eindruck des letzten Wortes eines Angeklagten in seine Entscheidung mit einfließen lassen muss. Kommt noch etwas anderes dazwischen, hat der Angeklagte, um diese Chance des letzten Eindrucks zu wahren, eben nochmal das letzte Wort zu erhalten. Ob der Richter seine Meinung dadurch ändert, ist natürlich rein praktisch fraglich. Aber es gehört eben zu der Form der strafrechtlichen Verhandlung dazu, dass man so verfährt. Immerhin erkannte schon der Jurist Rudolf von Jhering:

Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen. Feste Formen sind die Schule der Zucht und Ordnung und damit der Freiheit selber und eine Schutzwehr gegen äußere Angriffe, – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen.

Zur Vorbereitung der Revision beantragte ich die Übersendung des Protokolls. Dies liess etliche Wochen auf sich warten. Nach reichlichen Anfragen an das Gericht und sogar nach(!!) Ablauf der Frist zur Begründung der Revision erhielt ich das Protokoll. Und in dem stand leider nicht der wahre Verfahrensablauf. Tatsächlich stand dort: „Verteidiger W plädierte, Verteidigerin Y plädierte. Beide Angeklagten äußerten sich danach in ihrem letzten Wort: „Wir sind unschuldig.

Das Protokoll war also falsch. Ganz abgesehen davon war die Frist zur Revisionsbegründung schon abgelaufen. Ein Haufen Ärgernis auf einmal. In die Frist kam ich zwar wieder herein, weil ich für das Versäumnis nichts konnte. Das Protokoll konnte ich jedoch nicht angreifen. Ich stellte einen Antrag auf Berichtigung des Protokolls und schilderte ausführlich, was wirklich geschah. Ich untermauerte dies mit einer „anwaltlichen Versicherung“, die, wenn ich lügen würde, mir erhebliche standesrechtliche Probleme bereiten müsste. Auch bot ich an, dass die Co-Verteidigerin eine eidesstattliche Versicherung abgeben könne. Der Richter äußerte sich dahin, dass er sich nicht mehr erinnern könnte. Keiner konnte sich mehr daran erinnern. Ist ja auch kein Wunder nach der langen Zeit…

Und somit war das Protokoll für mich nicht mehr anfechtbar und da dem Angeklagten laut Protokoll das letzte Wort gewährt wurde, war die Revision unbegründet.

So verliert man Prozesse, weil die Protokolle bei Gericht schon vorformuliert sind.