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Amtsgerichtlicher Jojo-Effekt

By 28. Juni 2011Allgemein

Auch kleine Sachen werden gerne häufig verhandelt. So auch der Fall eines Autoaufbruchs. Dem Mandanten wurde vorgeworfen, ein Autoradio aus einem PKW geklaut zu haben. Ein Zeuge hat den Täter in flagranti erwischt. Der Täter sah den Zeugen, entschuldigte sich (höflich, nicht wahr?) und rannte davon. Später wurde im Rahmen einer Fahndung der Mandant aufgegriffen, weil er ungefähr auf die Beschreibung passte.

Der Zeuge musste dann zur Polizei, wo man ihm ein Bild des Mandanten vorlegte. „Das ist er„, hiess es dort wohl und so kam es dann zur Anklage.

Vor dem Amtsgericht verdonnerte ich den Mandanten zum Schweigen. Der Zeuge schilderte, was er erlebt hatte. Ja, der Angeklagte sei der Täter. „Ich habe ihm tief in die Augen gesehen. “ – „Wie lange?“ – „Es war länger als ein Wimpernschlag, aber kürzer als ein Ave Maria.“ Erste Zweifel kamen mir an dem Zeugen ob seiner verqueren Lyrik.

Der Staatsanwalt war sich dennoch sicher: Der Angeklagte war der Täter, kein Zweifel. Ich forderte natürlich Freispruch, dann das „letzte Wort“ des Angeklagten. Anstatt zu schweigen, wie von mir auferlegt, wollte er noch was sagen. Der Dolmetscher übersetzte: „Ich entschuldige mich für das, was ich getan habe.“ – da fiel mir doch etwas die Kinnlade runter, ich trat ihm schmerzhaft gegen das Schienbein und erklärte flugs, dass er sich bestimmt für die Vorstrafen entschuldigen wollte. Der Dolmetscher übersetzte kurz und dann: „Ja ja, für meine anderen Taten wollte ich mich entschuldigen.“

Natürlich kam es zur Verurteilung: 90 Tagessätze Geldstrafe.

Wir gingen in Revision und waren dort erfolgreich, denn auch das Oberlandesgericht war der Meinung, dass es nicht ausreicht, dem Zeugen nur ein Foto unter die Nase zu halten. Ein solches Vorgehen seitens der Polizei ist mehr als suggestiv. Oft vertrauen Zeugen den Ermittlungen der Polizei und bestätigen diese durch Abnicken. Klar, dass dann auf der Anklagebank der richtige Täter sitzen muss. Sonst wäre er ja nicht auf der Anklagebank. Also hob das Oberlandesgericht das Urteil auf und es kam zur neuen Verhandlung.

Diese nahm im Prinzip den selben Verlauf wie schon die erste Verhandlung. Mit Ausnahme, dass der Mandant mit einem Knebel versehen im letzten Wort nichts sagen durfte. Zu meiner großen Überraschung verurteilte das Gericht den Mandanten diesmal sogar zu einer höheren Strafe, nämlich zu 120 Tagessätzen. Das ist schon arg kurios, denn es gibt den eisernen Grundsatz des „Verschlechterungsverbots“. Denn wenn nur der Angeklagte ein Rechtsmittel einlegt, darf ein Urteil (mit wenigen Ausnahmen) nicht zu seinem Nachteil verändert werden. Das schlimmste, was dann passieren kann, ist, dass es beim alten Urteil bleibt plus die Kosten des weiteren Verfahrens. Gegen diesen eisernen Grundsatz verstieß das Gericht – ganz zu meiner Freude, denn die erneute Revision war damit schon gewonnen.

Die Revision ging wieder zum selben Senat des Oberlandesgerichts, der dem Amtsgericht nochmal ins Stammbuch schrieb, dass es nicht reicht, wenn der Zeuge den Angeklagten einfach wieder erkennt, nachdem ihm bei der Polizei nur ein Foto vorgelegt wurde. Konnte man schon dem ersten OLG-Urteil entnehmen. Hätte man nur lesen müssen. Am Rande dann auch der Hinweis auf den klaren Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot. Wieder wurde das Urteil des AG aufgehoben.

Somit kam es zur fünften Auflage, zur Abwechslung mal wieder vor dem Amtsgericht. Diesmal wurde ich mit einem Angebot gelockt, dass man das Verfahren doch einstellen könne. So kam es dann auch und der Mandant konnte als offiziell unschuldig den Gerichtssaal verlassen. Man wollte eine erneute Schmach vor dem OLG vermeiden.

Ich hingegen war zwar mit dem Ergebnis zufrieden, aber doch ein wenig traurig, dass es nicht noch in weitere Runden mit dem lustigen Zeugen und den mutigen Entscheidungen des Gerichts ging.