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Von Streiks und Haftbefehlen

By 4. März 2011Allgemein

Wenn von Streiks im öffentlichen Dienst die Rede ist, fällt mir immer wieder die Ausrede eines Richters ein, der einen Mandanten ohne Haftbefehl eingesperrt hat:

Gegen den (ausländischen) Mandanten wurde eine Anklage wegen einer relativen Kleinigkeit erhoben. Zur Hauptverhandlung erschien er gar nicht erst. Er war allerdings auch schon nicht mehr in Deutschland, sondern in sein Heimatland zurückgekehrt. Wenn jemand zu seiner eigenen Hauptverhandlung nicht erscheint, gibt es verschiedene Reaktionsmöglichkeiten:

1. Die Sache wird einfach auf ein neues Datum vertagt.

2. Man erlässt eine Strafe (einen sogenannten Strafbefehl), den der Angeklagte entweder akzeptieren kann oder innerhalb von 14 Tagen Einspruch einlegt, was zu einer neuen Verhandlung führt.

3. Der Angeklagte kann zu einem neuen Termin von der Polizei „vorgeführt“ werden.

4. Es wird ein Haftbefehl in die Welt gesetzt, nach dem Angeklagten gefahndet und wenn dieser festgenommen wurde, schmort er hinter Gittern bis zu seiner Verhandlung.

Es versteht sich von selbst, dass diese vier Stufen sich schon ein bißchen nach dem Vorwurf und dem Verhalten des Angeklagten ausrichten. Grundsätzlich muss erst mal ein mildes Mittel angewandt werden. Spezielle Richter kümmern sich da aber nicht drum, sondern ziehen gleich die Keule „Haftbefehl“ mit allen bösen Konsequenzen. So auch mein Richter in diesem Fall.

Nun kann ich solche Unverhältnismäßigkeit schwer ertragen und habe Beschwerde zum Landgericht eingelegt – das Landgericht teilte meine Meinung und hob den Haftbefehl wieder auf.

So weit, so gut. Doch Monate später erreichte mich ein Anruf von einem Sozialarbeiter aus der JVA. Es war dieser Mandant, der aus dem Knast anriefen liess, ich solle ihn doch mal besuchen. Ich dachte natürlich, er habe was neues angestellt und fragte mich durch, doch was musste ich erfahren: Er saß schon über eine Woche aufgrund des nicht mehr existierenden Haftbefehls! Dann wurde Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Es stellte sich sogar heraus, daß der Mandant verhaftet und sofort „unserem“ Richter vorgeführt wurde, der ihm den Haftbefehl (der nicht mehr galt) vorlas und ihn genüsslich hat einfahren lassen. Zum Glück konnte ich telefonisch einen verständnisvollen Staatsanwalt erreichen, der meine Aufregung teilte und entgegen seinen Befugnissen die Entlassung aus der JVA anordnete.

Was das mit dem Streik zu tun hatte? Nun, ich habe gegen den Richter Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben und in der folgenden Verhandlung einen Befangenheitsantrag gestellt. Er rechtfertigte sich damit, dass man ihm wegen des Streiks der Justizangestellten die Akten nicht geholt hätte und er davon ausging, der Haftbefehl sei noch in der Welt.

So läuft das also. Abgesehen davon, dass man sich die Akte selber hätte holen können, was wohl nicht so wichtig war, ist die Devise klar: Im Zweifel gegen den Angeklagten. Zumindest in Streikzeiten.